Worte, die wirken

 

Ich möchte den Blick der Leser  für die eigenen Texte schärfen

Interview mit dem Auszeit-Magazin

Auszeit: Lieber Hans Peter, ein herzliches Willkommen bei uns im AusZeit-Magazin! Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit nimmst, ein bisschen mit mir über das Thema Schreiben und Deine bisher veröffentlichten Schreibratgeber zu plaudern.

Hans Peter Roentgen: Danke, das tue ich natürlich gerne.

Auszeit: Anfang 2009 erschien Dein erster Schreibratgeber „Vier Seiten für ein Halleluja“ im Sieben Verlag. Was hat Dich damals dazu bewogen, einen solchen Ratgeber zu verfassen?

Hans Peter Roentgen: Ich hatte in verschiedensten Seminaren erlebt, wie nützlich es ist, eigene Texte zu diskutieren. Und zwar anhand der ersten vier Seiten, die jeder Teilnehmer mitbringt.

Nur gab es keinen Ratgeber, der diese Technik benutzte, nämlich die ersten Seiten von Anfängern auseinander zu nehmen, Schwachstellen aufzuspüren und Möglichkeiten aufzuzeigen, sie zu verbessern.

Das führte erst zu einer Kolumne im Tempest (www.autorenforum.de) und als die sehr viel Zuspruch fand, habe ich daraus ein Buch gemacht. Einen Ratgeber, der einmal nicht von den zahlreichen guten Beispielen der Literatur ausging, sondern sich mit den typischen Problemen von Anfängertexten beschäftigte.

Auszeit: Deine Ratgeber erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Was unterscheidet Deine von anderen?

Hans Peter Roentgen: Wie schon gesagt, sie behandeln typische Anfängertexte. Zeigen auf, was dort ein Problem ist, warum und wie man es verbessern könnte. Ich möchte den Blick der Leser  für die eigenen Texte schärfen, zeigen, wie man Probleme in eigenen Texten erkennt und wie man es besser machen kann.

Auszeit: Du beteiligst Dich seit über zwanzig Jahren an Schreibseminaren und Diskussionsforen, und hast in dieser Zeit vermutlich sehr vielen Nachwuchsautoren Schreibtipps mit auf den Weg gegeben. Welche Anfängerfehler treten Deiner Erfahrung nach am häufigsten im Manuskript eines Jungautors auf? Und wie wären sie vermeidbar? 

Hans Peter Roentgen: Der häufigste Anfängerfehler ist sicher der Infodump. Der Autor oder die Autorin erklären zu viel. Eine Geschichte lebt aber von offenen Fragen. Wer die Handlung unterbricht, um dem Leser sämtliche Details des Hintergrunds zu erklären, verliert die Spannung und damit die Leser. Die Delete-Taste ist da der beste Freund eines Autors.

Oft wird auch zu wenig Arbeit in die Figuren gesteckt. Ein Autor muss einfach sehr viel über seine Figuren wissen, was sie antreibt, was ihnen wichtig ist und was nicht. Der Leser merkt es schnell, wenn die Figuren im Text nicht leben.

Und viele Autoren lieben ihre Figuren, wünschen ihnen alles Gute und wollen alles Böse von ihnen fernhalten. Aber Geschichten leben nicht davon, dass alle lieb und nett zueinander sind. Erst als ich richtig böse wurde, hatte ich Erfolg, soll Ingrid Noll gesagt haben.

Auszeit: „Talent allein reicht oft nicht aus.“ Würdest Du dieser Aussage zustimmen? Wenn ja, was macht dann einen guten Autor aus?

Hans Peter Roentgen: Talent reicht nie aus, nicht beim Schreiben, nicht beim Fußball, nicht in der Musik. Niemand kommt in die Nationalmannschaft, nur weil er ein talentierter Fußballer ist. Dazu gehören auch tausende von Traininsstunden, Trainingsspielen und viel Erfahrung.

Auszeit: Du bist u.a. langjähriges Mitglied im Montségur-Autorenforum. Wie wertvoll sind solche Plattformen für Jungautoren?

Hans Peter Roentgen: Ohne solche Plattformen könnte ich heute niemandem etwas über das Schreiben erklären. Und die vielen Autoren, die ich von früher kenne und die mittlerweile Verlage gefunden hätten, wären auch nicht dort, wo sie heute stehen.

Montsegur, muss ich aber dazusagen, ist wie das Syndikat (der Verein deutschsprachiger Krimiautoren) ein Forum professioneller Autoren, Jungautoren können zwar im öffentlichen Teil mitlesen, aber nicht mitdiskutieren. Im Gegensatz zu früher gibt es heute aber zahlreiche Foren und Diskussionsgruppen für Jungautoren im Internet und in der Realität. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Als ich vor zwanzig Jahren hier in Freiburg bei Maria Bosse-Sporleders VHS-Gruppe anfing, war das absolut exotisch und eine der ganz wenigen Gruppen in Deutschland, die Texte zusammen schrieben und diskutierten. Sie war eine der ganz wenigen, die sich damals trauten, sowas anzubieten. In Deutschland gab es damals genau einen (!) Schreibratgeber – aber unzählige Stilratgeber. Noch Anfang 2000 wurde im deutschen Feuilleton heftigst gegen die Autorenausbildung polemisiert – dabei stammt der erste moderne Schreibratgeber von einem Deutschen (Gustav Freytag) und schon 1948 hatte die Gruppe 47 damit begonnen, dass Autoren eigene Texte diskutieren. Erstaunlich, wie lange es gebraucht hat, bis sich das dann durchgesetzt hatte. Da haben die Nazis und ihre Genietheorie lange, lange nachgewirkt und viel in Deutschland verhindert.

Auszeit: Mit „Drei Seiten für ein Exposé“ – erschienen Anfang 2010 im Sieben Verlag – hast Du einen Ratgeber geschrieben, der gerade für die Verlagssuche sehr viele Tipps und Anregungen liefert. Gibt es den universellen Ratschlag, den jeder Autor bei der Vorstellung seines Manuskriptes berücksichtigen sollte?

Hans Peter Roentgen: Jeder Autor sollte sich klarmachen, dass Verlage gute Gründe haben, warum sie ein Exposé verlangen. Man kann eine Menge über eine Geschichte aus einem Exposé entnehmen. Und das können Autoren natürlich auch selbst nutzen, um ihre Geschichten zu überprüfen. Plotlöcher, Unklarheiten wo die Geschichte eigentlich beginnt und wo sie endet, Probleme mit den Motiven der Figuren und vieles mehr lassen sich in einem 1-3 seitigem Exposé leichter entdecken als im 400 Seiten Manuskript.

Ein Blick auf die Struktur der eigenen Geschiche ist immer eine gute Idee und ein Exposé kann da sehr hilfreich sein. Viele Autoren schreiben parallel zum Text immer wieder am Exposé, lange bevor sie es an Verlage oder Agenten schicken.

Auszeit: Es wird behauptet, dass Verlage und auch Agenturen lieber die Finger von Jungautoren lassen, die keinerlei Erfahrungen und Know How mitbringen. Was ist an dieser Behauptung dran?

Hans Peter Roentgen: Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Wer die Grundlagen des Handwerks noch nicht beherrscht, wird kaum einen Verlag finden. Bundesligavereine verpflichten auch keine Spieler, denen jegliche Erfahrung fehlt.

Andererseits habe ich in den letzten zwanzig Jahren erlebt, dass immer mehr alte Bekannte Verlage gefunden habe. Ich freue mich immer, wenn ich mal wieder einen Namen lese, der jetzt veröffentlicht wird und den ich von früher aus Seminaren, Gruppen oder Foren kenne. Das passiert immer häufiger.

Nur passiert das selten über Nacht. Wie in anderen Bereichen auch, braucht man für das Schreiben viel Erfahrung und Übung. Die wenigsten sind mit dem ersten Roman veröffentlicht worden, die meisten haben viele Jahre und viele Romane geschrieben, bis der erste Durchbruch kam. Erich Maria Remarque ist mit „Im Westen nichts Neues“ in die Literaturgeschichte eingegangen. Etliche Jahre früher hat er einen Roman „Die Traumbude“ auf eigene Kosten drucken lassen. Das Buch wäre Anlass zum Selbstmord, wenn ich später nicht besseres geschrieben hätte, hat er später über seinen Erstling geurteilt.

Heute veröffentlichen Verlage viel mehr Jungautoren als früher. Vor zwanzig Jahren war ein Einstieg als deutscher Thriller- oder Fantasyautor fast unmöglich und wenn doch, dann nur mit amerikanischen Pseudonym.

Viele Jungautoren wissen mittlerweile, dass Genie allein nicht ausreicht, dass Erfahrung und Handwerk wichtig sind. Außerdem verlangen amerikanische Verlage immer höhere Lizenzgebühren, selbst für drittklassige Bücher. Beides hat dazu geführt, dass die Verlage heute viel eher als früher deutschen Jungautoren Chancen geben.

Allerdings gibt es auch sehr viel mehr Autoren, die erzählen können, von daher hat sich die Konkurrenz auch verschärft.

Auszeit: Zur Zeit boomt der eBook-Markt, viele Autoren nutzen die Möglichkeit nach unzähligen Absagen von Verlagen und veröffentlichen ihr Buch selbst. Was hältst du von dieser Entwicklung?    

Hans Peter Roentgen: Das halte ich für sehr positiv. Weil das einfach viele Möglichkeiten bietet, Erfahrungen zu sammeln, Manuskripte zu veröffentlichen, die Nischen bedienen oder Formate sind, die einfach im Print nicht verkauft werden können. Die gute alte Novelle mit 80-100 Seiten war jahrzehntelang aus dem Buchmarkt verschwunden, jetzt feiert sie wieder Auferstehung.

Ich habe es immer schade gefunden, dass in Deutschland der „Unterbau“ fehlt, also Möglichkeiten für Jungautoren erste Erfahrungen zu sammeln. Im Fußball gibt es ja auch nicht nur die Bundesliga, sondern von Landesliga bis Kreisklasse eine Fülle von Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. In der Musik fängt man auch nicht in der Carnegie Hall an, sondern bei Schulkonzerten, bei ersten Auftritten auf Schul- oder sonstigen Festen. Ich hoffe, dass sich mit eBook Markt ähnliches für Autoren entwickelt.

Da lernt man auch all das Drumherum des Buchmarkts kennen und erfährt, was alles dazugehört. Vom Cover über den Klappentext bis hin zum Umgang mit Kritik. Und betrachtet die Arbeit, die hinter der Buchveröffentlichung steht, mit viel mehr Respekt.

Natürlich sollte niemand die Illusion hegen, dass man so über Nacht zum Spiegelbestsellerautor wird oder riesige Gewinne einfährt. Ich kann es nur noch mal wiederholen: Mittlerweile kenne ich eine Vielzahl von Autoren, die es geschafft haben, einige sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste – aber nur wenige keiner über Nacht.

Auszeit: Vor wenigen Tagen erschien Dein dritter Schreibratgeber im Sieben Verlag „Schreiben ist nichts für Feiglinge“. Schon der Titel macht neugierig. Würdest Du kurz zusammenfassen, welche Tipps und Ratschläge Du diesmal für Deine Leser gesammelt hast?

Hans Peter Roentgen: Ich schildere die unterschiedlichen Wege verschiedenster Autoren bis zum ersten Verlagsvertrag. Also das, was normalerweise nicht in der Zeitung steht. Und ebenfalls, wie Verlage zu Autoren gekommen sind. Von der Lektorenkonferenz über die Außenlektoren bis hin zu dem Autorenblues, wenn der Auslieferungstermin bevorsteht und die meisten Autoren durchdrehen.

Ich möchte Lesern einen realistischen Blick auf den Buchmarkt geben, zeigen, wieviele Autoren, die ich kenne, mittlerweile Verträge haben – aber auch, wie lange sie dafür gekämpft haben. Und natürlich habe ich auch die zahlreichen Merkwürdigkeiten geschildert, die den Buchmarkt auszeichnen. Das ist eben eine eigene Welt mit eigenen Regeln. Nicht anders, wie andere Märkte und Kunstrichtungen auch.

Auszeit: Lieber Hans Peter, im Namen des AusZeit-Magazins bedanke ich mich ganz herzlich für das Beantworten der Fragen. Für die Zukunft wünschen wir Dir alles Gute und viele weitere Ideen für Deine tollen Schreibratgeber!